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Philosophische Grundlagen
der Nachhaltigkeit

Die Hochschule Emden/Leer feiert ihr 50jähriges Bestehen. Da Nachhaltigkeit sowohl in der Lehre als auch im Alltag der Hochschule stets ein großes Thema ist, begeht die Hochschule ihr Jubiläum unter anderem mit einer Ringvorlesung unter dem Titel unsere Zukunft gestalten. Dabei werfen die Vortragenden aus unterschiedlichsten Fachbereichen einen breit gefächerten Blick auf Probleme der Nachhaltigkeit und mögliche Lösungen. Am 30. März durfte ich unter dem Titel Philosophische Grundlagen der Nachhaltigkeit ebenfalls zu dieser Vorlesung beitragen.

Ich stelle in diesem Vortrag zwei Fragen. Die erste ist moralphilosophisch und lautet: Gibt es eine Pflicht zur Nachhaltigkeit? Dabei geht es vornehmlich um die Probleme der Begründung einer moralischen Pflicht, den Planeten und das Klima als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen zu erhalten. Die zweite Frage ist wirtschaftsphilosophischer Art und richtet sich auf die Bedeutung des Begriffs der Nachhaltigkeit: Was (und wieviel) soll erhalten werden? Zu beiden Fragen werde ich gegensätzliche Positionen erläutern. Das geschieht allerdings nicht, um Richtiges und Falsches gegenüberzustellen, sondern um einen Eindruck von der Spannweite der möglichen Antworten zu vermitteln.

Es beginnt mit Derek Antony Parfit. Er zeigt mit dem Non-Identity-Problem, dass eine Pflicht zur Nachhaltigkeit prinzipiell nicht begründbar ist, und mit dem No-Difference-Argument, wie man damit umgehen kann. Anschließend stelle ich vor, wie ein Klassiker der Nachhaltigkeitsphilosophie diese Pflicht zu begründen versucht: Wir sprechen über Das Prinzip Verantwortung von Hans Jonas. Zur zweiten Frage kommen zwei Ökonomen zu Wort. Der erste ist Robert Solow mit dem Konzept der weak sustainability, dem ich die Konzeption der strong sustainability von Herman Daly gegenüberstelle. Abschließend werde ich ein paar, hoffentlich erbauliche, Worte von John Stuart Mill zum Stationary State, heute bekannt als Postwachstumsökonomie, vortragen.

Gliederung

1. Gibt es eine Pflicht zur Nachhaltigkeit?

Derek Antony Parfit: Non-Identity-Problem

Derek Antony Parfit: No-Difference-Argument

Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung

2. Was (und wieviel) soll erhalten werden?

Robert Solow: Weak Sustainability

Herman Daly: Strong Sustainability

John Stuart Mill: Stationary State

Literatur

1. Gibt es eine Pflicht zur Nachhaltigkeit?

Wir können uns aus unterschiedlichen und guten Gründen für eine nachhaltige Wirtschaftsweise entscheiden, um die Lebensgrundlage für zukünftige Generationen zu erhalten. Das machen auch immer mehr Menschen, weil ihnen nicht gefällt, den Planeten zu zerstören. Etwas anderes ist die Forderung, dass es nicht darauf ankommt, ob es einem gefällt oder nicht gefällt, weil jeder die moralische Pflicht habe, die Lebensgrundlage für zukünftige Generationen zu erhalten. Die Forderung ist, dass es nicht der freien Entscheidung des Einzelnen überlassen ist, nachhaltig zu leben oder nicht, sondern dass jeder die Pflicht dazu hat; so wie man anderen Menschen seiner Generation nicht schaden darf. Und eine solche Pflicht muß gerechtfertigt werden.

Derek Antony Parfit: Non-Identity-Problem

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Pflichten gegenüber Menschen der gegenwärtigen Generation und denen zukünftiger Generationen ist, dass letztere (noch) nicht existieren. Auf diesen Unterschied stellt das Non-Identity-Problem von Derek Antony Parfit (1984: Chap. 16.) ab: Demnach stehen wir heute vor der Entscheidung, entweder nachhaltig zu wirtschaften oder so weiter zu machen wie bisher. Diese Entscheidung beeinflußt unsere Art zu leben so grundsätzlich und umfassend, dass die Geschichte der Menschheit anders verlaufen wird. Dazu gehört, dass in beiden Fällen andere Paare heiraten und andere Kinder geboren werden. Das Paar, das sich während eines Kurzurlaubs mit Flugreise kennenlernt, wird sich bei einer nachhaltigen Wirtschaftsform so nicht kennenlernen, und sie werden dementsprechend auch keine gemeinsamen Kinder haben. Die Pointe des Non-Identity-Problems ist, dass sich die Menschen, die auf einem zerstörten Planeten leben, nicht beschweren können, weil sie anderenfalls gar nicht geboren worden wären.

Das Non-Identity-Problem entsteht, weil Rechte und Pflichten nur mit tatsächlichen Trägern dieser Rechte und Pflichten gedacht werden können. Nicht-existierenden Individuen selbst grundlegendste Rechte zugestehen zu wollen, führt sofort zu absurden Pflichten für die Existierenden: Gesetzt den Fall, dass wir nicht-existierenden Individuen zumindest das Recht auf Leben, das Recht auf Existenz zugestehen würden, wären alle Existierenden in der Pflicht, jedes Kind zu zeugen, das ihnen möglich ist. Das zu verlangen ist natürlich absurd; aber dass schon ein Recht auf Leben für nicht-existierende Individuen zu Absurditäten führt, macht anschaulich, dass diese keine Rechte haben können. Das Non-Identity-Problem läßt sich daher auch als Paradoxie formulieren: Die Individuen einer zukünftigen Generation, die in einer zerstörten Umwelt leben müssen, hätten nur darum ein Recht auf bessere Lebensbedingungen, weil wir dieses Recht verletzt haben.

Derek Antony Parfit: No-Difference-Argument

Derek Antony Parfit war davon überzeugt, dass eine Pflicht gegenüber zukünftigen Generationen nicht zu rechtfertigen ist. Aber so besorgniserregend die Konsequenz des Non-Identity-Problems auch sein mag, nahm er es überraschenderweise nicht zum Anlaß, sich weniger um zukünftige Generationen zu sorgen. Diese Sichtweise nennt Parfit No-Difference View:

We may be able to remember a time when we were concerned about effects on future generations, but had overlooked the Non-Identity Problem. We may have thought that a policy like Depletion would be against the interests of future people. When we saw that this was false, did we become less concerned about effects on future generations?

When I saw the problem, I did not become less concerned. And the same is true of many other people. I shall say that we accept the No-Difference View.

Parfit: Reasons and Persons. Chap. 16. Nr. 125.

Das No-Difference-Argument thematisiert, dass es auch unabhängig von der konkreten Identität moralisch schlecht ist, wenn jemand geschädigt wird; oder einfach gesagt: Auf die Identität der Person, auf die das Non-Identity-Problem abstellt, kommt es in bestimmten Fällen gar nicht an. Für einen solchen Fall gibt Parfit ein medizinethisches Beispiel: Angenommen es gäbe zwei Erkrankungen, mit denen Neugeborene auf die Welt kommen können. Bei der ersten muß die Frau vor der Schwangerschaft getestet werden, und bei einem positiven Befund besteht die Therapie darin, dass sie für drei Monate nicht schwanger werden darf. Die zweite Erkrankung kann während der Schwangerschaft diagnostiziert und mit einer einfachen Medikation behandelt werden.

Angenommen bei beiden Erkrankungen sei außer den genannten Unterschieden alles andere (Schwere der Erkrankung, Häufigkeit der Fälle, Kosten von Diagnose und Behandlung, etc.) gleich. Jetzt werden wir gefragt, ob eine der beiden Therapien moralisch wertvoller oder wichtiger sei. Darauf antworten die meisten Menschen, dass keine von beiden auf irgendeine Art besser oder wertvoller sei als die andere. Im Sinne des Non-Identity-Problems unterscheiden sich beide darin, dass im ersten Fall ein später gezeugtes und somit anderes Kind zur Welt kommt, während im zweiten Fall das gleiche Kind auf die Welt kommt. Man müßte daher eigentlich sagen, die zweite Therapie sei wertvoller, weil sich im ersten Fall das Kind später nicht über die mangelnde Behandlung beschweren könnte, weil es sonst nicht geboren worden wäre. Dieser Unterschied hinsichtlich der Identität macht aber offenbar hinsichtlich des moralischen Wertes gar keinen Unterschied: Daher No-Difference-Argument.

Bei der Entscheidung für oder gegen eine nachhaltige Wirtschaftsweise zugunsten zukünftiger Generationen ist das ähnlich: Nach dem Non-Identity-Problem können die Individuen zukünftiger Generationen keine Träger von Rechten sein, die zu beachten unsere Pflicht wäre. Wie bei dem Kind im ersten Fall, könnten wir die Beschwerde zukünftiger Generationen über einen zerstörten Planeten damit zurückweisen, dass sie anderenfalls gar nicht geboren worden wären. Aber wir tun es nicht, sondern bewerten widrige Lebensbedingungen für zukünftige Generationen als moralisch schlecht, ohne einen Unterschied hinsichtlich der Identität der Individuen zu machen. Wir akzeptieren also den No-Difference View.

Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung

Ganz anders als Parfit geht Hans Jonas an das Begründungsproblem einer Pflicht zur Nachhaltigkeit heran. In dem Klassiker der Nachhaltigkeitsphilosophie Das Prinzip Verantwortung von 1979 formuliert Jonas eine Ethik für die technologische Zivilisation. Der technologische Fortschritt, so Jonas, galt lange Zeit als Verheißung und versprach das Glück der Menschheit. Heute jedoch sehen wir, dass unsere fortschrittliche Wirtschaftsweise und vor allem die damit verbundenen Abfälle zur existentiellen Bedrohung geworden sind. Das verlangt nach einer neuen Art von Ethik, weil unser bisheriges ethtisches Denken nicht geeignet ist, mit den Problemen der technologischen Zivilisation umzugehen. Daher fordert und entwickelt Jonas eine Zukunftsethik, die das langfristige Bestehen der Menschheit thematisiert.

Ich möchte auf drei Aspekte aufmerksam machen, die eine Zukunftsethik beantworten können muß, und die bisherige Ethik nicht beantworten kann: Erstens muß eine Zukunftsethik räumlich und zeitlich mit viel größeren Horizonten umgehen können. Bei der bisherigen Ethik sind diese vergleichsweise kurz, weil es um den Wirkbereich individueller menschlicher Handlungen geht. Eine Zukunftsethik hingegen muß mit Umweltproblemen umgehen können, die erst in Jahrzehnten oder Jahrhunderten, im Beispiel atomarer Abfälle erst in Jahrtausenden, sichtbar werden. Und während hinsichtlich der räumlichen Dimension bei den Gegenständen der bisherigen Ethik lokale Wirkungen relevant sind, sind im Fall der Zukunftsethik globale Auswirkungen des Handelns der Regelfall.

Daher spielt zweitens wissenschaftliches Wissen für eine Zukunftsethik aufgrund der Komplexität globaler ökologischer Zusammenhänge eine entscheidende Rolle. Bisherige Ethik benötigt kaum mehr als Alltagswissen: Jemandem ein Messer in den Körper zu stechen kann ihn tödlich verletzen, und das Post-Paket vor der Wohnungstür des Nachbarn steht dort nicht für jedermann zum Mitnehmen. Etwas ganz anderes sind Klimamodelle, die uns verraten, welche Folgen ein ungebremster Ausstoß an Kohlendioxid haben wird. (vgl. Jonas 1979: 66, 206f.)

Der dritte Unterschied zwischen bisheriger Ethik und Zukunftsethik ist dem Non-Identity-Problem von Derek Antony Parfit ähnlich. Jonas argumentiert, dass jemand nur dann Rechte haben kann, wenn er (moralisch berechtigte) Ansprüche stellen kann; und erst mit diesem Recht entsteht reziprok für andere die Pflicht, dieses Recht zu achten. Aber die Nichtexistierenden zukünftiger Generationen stellen keine Ansprüche und können auch keine stellen, so dass sie keine Rechte und wir keine Pflichten ihnen gegenüber haben können. Jonas schreibt:

Denn Anspruch hat nur das, was Ansprüche macht – was erst einmal ist. Alles Leben macht Anspruch auf Leben, und vielleicht ist dies ein zu achtendes Recht. Das Nichtexistierende stellt keine Ansprüche, kann daher auch nicht in seinen Rechten verletzt werden. […] Vor allem hat es kein Recht darauf, überhaupt zu sein, bevor es in der Tat ist. Der Anspruch auf Sein beginnt erst mit dem Sein. Aber gerade mit dem noch-nicht-Seienden hat es die gesuchte Ethik zu tun und ihr Prinzip der Verantwortung muß unabhängig sein, wie von aller Idee eines Rechts, so auch von der einer Reziprozität…

Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Seite 84.
(own translation)

Mit diesen drei Problemen, die bisherige Ethik nicht berühren, muß die gesuchte Zukunftsethik umgehen können. Dafür formuliert Jonas in Anlehnung an Kant einen kategorischen (ohne weitere Bedingungen gültigen) Imperativ. Bekannt geworden ist dieser Imperativ in der prägnanten Form: Also ist der Imperativ, daß eine Menschheit sei […] (Jonas 1979: 91.). An anderer Stelle formuliert Jonas ausführlicher:

Ein Imperativ […] würde etwa so lauten: Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden; oder negativ ausgedrückt: Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens; oder einfach: Gefährde nicht die Bedingungen für den indefiniten Fortbestand der Menschheit auf Erden; oder, wieder positiv gewendet: Schließe in deine gegenwärtige Wahl die zukünftige Integrität des Menschen als Mit-Gegenstand Deines Wollens ein.

Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Seite 36.

Indem Jonas das Objekt der Pflicht von der individuellen Ebene ablöst und an seine Stelle die Idee der Menschheit als Ganzes setzt, gelingt ihm, einen räumlich globalen und zeitlich unbegrenzten Horizont ebenso anzusprechen wie die Komplexität des Ökosystems, das nicht einem bestimmten Menschen, sondern der gesamten Menschheit als Lebensgrundlage dient. Und da die Menschheit als Ganzes existiert, kann sie auch Gegenstand der Pflicht sein, dass unser individuelles und kollektives Handeln ihren Fortbestand nicht gefährden darf.

Aus diesem Imperativ folgen weitere konkrete Pflichten: Wir haben die Pflicht, unser ökologisches und technologisches Wissen zu vermehren, weil technologischer und industrieller Fortschritt die Menschheit zwar an den Rand der Katastrophe geführt haben, jedoch kann die Katastrophe nur mit Technologie abgewendet werden. Diese Pflicht darf aber nicht zu blindem Vertrauen in die Technik führen, sondern muß in dem Bewußtsein stehen, dass wissenschaftliches Wissen notwendig mit einem strukturellen Unwissen verbunden ist. Dieses Unwissen besteht darin, dass Wissenschaft rückblickend erklären kann, was passiert ist, jedoch niemals mit Sicherheit die Unbedenklichkeit einer neuen Technologie vorhersagen kann. Man denke nur an FCKW: Über Jahrzehnte wurden sie bedenkenlos in großen Mengen hergestellt bis Joe Farman 1985 das Ozonloch über der Antarktis entdeckte und dessen Ursache erklärte (vgl. Farman et.al. 1985.). Wir dürfen, so Jonas, auch keine Wette auf die Zukunft abschließen, indem wir leichtfertig eine Technologie nutzen und darauf vertrauen, dass die damit eventuell verbundenen Probleme durch weitere Technologien irgendwie gelöst werden (vgl. Jonas 1979: 76-83.). Wir sollten daher angesichts neuer Technologien weniger auf die möglichen Gewinne hoffen, sondern uns im Sinne einer Heuristik der Furcht vor Augen führen, welche Risiken damit schlimmstenfalls verbunden sind; zumal die Menschen, ganz pragmatisch gesehen, viel leichter darüber einig werden, welches Übel abzuwenden ist, als darüber, welche Gewinne erstrebenswert sind (vgl. Jonas 1979: 63-66.).

Der Imperativ von Jonas erscheint angesichts der genannten Schwierigkeiten einer Zukunftsethik zuerst als eine elegante Lösung. Aber ein Blick auf die Begründung offenbart schwerwiegende Probleme, die jene augenscheinliche Eleganz in ein zweifelhaftes Licht rücken: Teleologie, Metaphysik und ein Schluß vom Sein auf das Sollen, wie er seit 1903 als naturalistischer Fehlschluß bekannt ist, bilden den Kern des Begründungsschemas. Die Begründung des Imperativs der Zukunftsethik folgt in etwa folgendem Gedankengang:

  1. Der Mensch kann als einziges Wesen auf der Welt verantwortlich handeln.
  2. Aus dem Können folgt die Pflicht, es zu tun.
  3. Der Zweck der Menschheit ist, dass ein Wesen auf der Welt ist, das verantwortlich handeln kann.
  4. Es ist etwas Gutes (hat einen moralischen Wert), dass ein Wesen auf der Welt ist, das verantwortlich handeln kann.
  5. Also ist die Pflicht des Menschen, das Können (Zweck und Wert) dauerhaft zu erhalten.

Das Drama dieses Begründungsschemas ist, dass man damit auch allerlei Unsinn moralisch rechtfertigen kann, indem man einem einfachen Rezept folgt: Man dichtet in das, was gerechtfertigt werden soll, einen von der Natur gegebenen Zweck hinein, um schließlich zu behaupten, dass es so sein soll, wie es ist, weil es nur so seinen natürlichen Zweck erfülle. Damit ist einfach, auch das Gegenteil des Imperativs von Jonas zu rechtfertigen; und sei es, um damit nur auf die problematische Begründung aufmerksam zu machen: Der Zweck von Natur und Evolution ist die Vielfalt des Lebendigen. Die Menschheit widerspricht diesem Zweck, indem sie andere Arten massenhaft ausrottet. Also erfüllen Natur und Evolution ihren Zweck, wenn die Menschheit möglichst schnell wieder von der Erde verschwindet.

Hans Jonas war sich der Problematik seiner Begründung bewußt, und er begegnet der zweifelsohne erwartbaren Kritik, indem er seinerseits die Ablehnung von Metaphysik und naturalistischen Fehlschlüssen in Frage stellt (vgl. Jonas 1979: 92-102.); und insofern hat sein unverhohlener Rekurs auf längst überholt geglaubte Begründungsschemata etwas Originelles. Und wenn ich Jonas an dieser Stelle richtig interpretiere, dann geht es ihm darum, entweder das fragwürdige Begründungschema zu akzeptieren oder ohne jegliche Zukunftsethik zu sein, während zunehmende Umweltprobleme und extreme Wetterereignisse durch den Klimawandel täglich vor Augen führen, wie nötig eine Zukunftsethik ist.

2. Was (und wieviel) soll erhalten werden?

Die zweite Frage richtet sich auf die genaue Bedeutung des Begriffs der Nachhaltigkeit. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Forstwirtschaft. 1713 schrieb Hannß Carl von Carlowitz über eine continuirliche beständige und nachhaltende Nutzung (Carlowitz 1713: 105.) des Waldes. Zu der Frage, was wir heute unter Nachhaltigkeit verstehen müssen, werde ich die wirtschaftsphilosophischen Postionen von Robert Solow und Herman Daly, beide sind Ökonomen ersten Ranges, vorstellen. Sie sind einander darin einig, dass Nachhaltigkeit weder zu konkret, noch zu abstrakt bestimmt werden darf. Zu konkret bestimmte Begriffe, zum Beispiel in Form einer Liste von nachhaltigen und nicht nachhaltigen Handlungen, sagen nichts über das Prinzip, das dieser Liste zum Grunde liegen muß: Beispiele geben kein Prinzip. Zu abstrakt und umfassend bestimmte Begriffe hingegen laufen Gefahr, alles und letztlich nichts mehr zu bedeuten; und gerade das ist bei Definitionen der Nachhaltigkeit oft der Fall.

Das läßt sich anhand der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen deutlich machen, denn sie erfassen anhand von 16 Zielen alles, was mit nachhaltiger Entwicklung zusammenhängt. Das ist zwar sinnvoll, sofern die Transformation der Welt ein umfassender Prozeß ist; aber die umfassende Bestimmung führt auch zu fragwürdigen Ergebnissen: Das 8. Ziel ist Wirtschaftswachstum, und auf der Web-Seite der Europäischen Union zu den Nachhaltigkeitszielen ist zu lesen, dass in der EU das GDP gewachsen und dieses Nachhaltigkeitsziel damit erfüllt sei. Wenn aber in den reichen Staaten der EU das Wachstum des GDP, also in der Regel mehr Produktion, mehr Konsum und mehr Abfälle als ein Schritt in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung gelten können, dann hat der Begriff der Nachhaltigkeit seine Bedeutung verloren. Hinzu kommt, dass diese Vielzahl auch Zielkonflikte enthält: Bekämpfung der Armut und Wirtschaftswachsum widersprechen dem Ziel, das Klima durch weniger Kohlendioxidausstoß zu belasten. Die Nachhaltigkeitsziele enthalten kein Prinzip, um solche Konflikte zu entscheiden, und folglich sind unter dieser Bestimmung von Nachhaltigkeit sehr gegensätzliche politische Agenden möglich. Was soll Nachhaltigkeit bedeuten, wenn entgegengesetzte Handlungen gleichermaßen als nachhaltig gelten?

Robert Solow und Herman Daly sind darin einig, dass eine gelungene Bestimmung des Begriffs die richtige Mitte zwischen Konkretion und Abstraktion treffen muß. Und um eine solche Bestimmung des Begriffs zu erreichen, stellen beide die gleiche Frage: Was und wieviel soll eigentlich nachhaltig erhalten werden? Uneinig sind sie darüber, wie diese Frage zu beantworten ist.

Robert Solow: Weak Sustainability

Robert Solows Antwort auf diese Frage ist als Konzept der schwachen Nachhaltigkeit bekannt. Demnach ist für zukünftige Generationen nicht eine bestimmte Sache zu erhalten, sondern die Fähigkeit, einen Lebensstandard zu genießen, der mindestens so hoch ist wie unser gegenwärtiger:

The duty imposed by sustainability is to bequeath to posterity not any particular thing […] but rather to endow them with whatever it takes to achieve a standard of living at least as good as our own and to look after their next generation similarly.

Solow (1992): An Almost Practical Approach to Sustainability. S. 258.

Den Lebensstandard faßt Solow als eine Art Rendite aus dem in einer Gesellschaft vorhandenen Kapital auf. Damit meint Solow Kapital in the broadest sense (Solow 1992: 259.). Dazu zählen Bodenschätze, erneuerbare Ressourcen, das üblicherweise als Kapital bezeichnete menschen-gemachte Kapital, aber auch Bildung und Technologie und selbst die Natur. Im Zuge des Wirtschaftsprozesses degeneriert dieses Kapital und muß ersetzt werden, so wie es vom menschen-gemachten Kapital bekannt ist. Das gilt auch für Bildung und Technologie. Die Technologie einer Schreibmaschine und deren Reparatur wird heute nicht mehr benötigt. An ihre Stelle tritt die Technologie des Computers, des Druckers und der E-Mail. Auch Bildung muß stetig erneuert werden, weil die Menschen, in deren Ausbildung investiert wurde, irgendwann in den Ruhestand gehen.

Damit der Lebensstandard langfristig erhalten bleibt, muß also das Gesamtkapital der Gesellschaft gleichwertig bleiben, muß eine mindestens gleichbleibende Rendite hervorbringen. Den Wirtschaftsprozess kann man sich aus dieser Perspektive als eine stetige Umwandlung von einer Art Kapital in eine andere vorstellen. Das ist besonders anschaulich im Fall nicht-erneuerbarer Ressourcen: Wenn wir diese fördern und nutzen, wenn wir also diese Art Kapital verbrauchen, müssen wir gleichzeitig dafür sorgen, dass dieses Kapital durch eine andere Art Kapital ersetzt wird: Wir fördern Erdöl und produzieren daraus Benzin und Diesel, und bauen gleichzeitig erneuerbare Energien aus, um damit in Zukunft Elektroautos betreiben zu können.

Eine Gesellschaft muß demnach in jeder Wirtschaftsperiode zwei Entscheidungen treffen: Wieviel der nicht-erneuerbaren Ressourcen soll verbraucht werden, und wieviel soll für deren zukünftigen Ersatz investiert werden? Diese Entscheidungen, so Solow, könne man sich als einen Tausch mit zukünftigen Generationen vorstellen: Indem wir eine nicht-erneuerbare Ressource verbrauchen, nehmen wir zukünftigen Generationen die Möglichkeit diese zu nutzen; und wir geben dafür eine erneuerbare Ressource. Wenn dieser Tausch fair ist, besteht intergenerationelle Gerechtigkeit, und das ist gleichbedeutend mit der nachhaltigen Erhaltung des Lebensstandards. Diese Bestimmung von Nachhaltigkeit in Form dieser beiden Entscheidungen hat nach Solow drei wesentliche Vorteile: Erstens ist die Menge des vorhandenen Gesamtkapitals zwar nicht genau, aber doch prinzipiell messbar; und darauf legt Solow Wert: talk without measurement is cheap (Solow 1992: 254.). Zweitens ist eindeutig bestimmt, was nachhaltig ist und was nicht. Wird das Gesamtkapital mindestens erhalten, wirtschaftet man nachhaltig, und anderenfalls nicht. Und drittens sind diese beiden Entscheidungen politisch konkret umsetzbar, sofern sich diese Entscheidungen auf messbare Größen und nicht auf Ideologien beziehen.

Solows Erklärung der Nachhaltigkeit läßt sich auch so ausdrücken: Wir dürfen kein natürliches Kapital verbrauchen, ohne es durch menschen-gemachtes Kapital zu ersetzen. Solow fordert, dass natürliches Kapital und menschen-gemachtes Kapital, wie Ökonomen sagen, Substitute sind. Ein Beispiel macht klar, was das bedeutet: Käsebrötchen kann man sowohl mit Roggen- als auch mit Weizenbrötchen herstellen. Sie sind Substitute. Aber man braucht immer Brötchen und Käse, und kann fehlenden Käse nicht durch mehr Brötchen ersetzen. Käse und Brötchen sind daher keine Substitute, sondern werden von Ökonomen Komplemente genannt. Die Annahme, dass natürliches und menschen-gemachtes Kapital Substitute seien, gilt Solow als minimaler Optimismus, ohne den Nachhaltigkeit nicht denkbar sei, weil sonst nur gefragt werden könnte, wie schnell oder langsam der unersetzbare Bestand natürlichen Kapitals aufgebraucht werden soll. Diesen minimalen Optimismus erklärt Solow mit dem bekannt gewordenem Bild einer Uhr:

Without this minimal degree of optimism, the conclusion might be that this economy is like a watch that can be wound only once: it has only a finite number of ticks, after which it stops. In that case there is no point in talking about sustainability, because it is ruled out by assumption; the only choice is between a short happy life and a longer unhappy one.

Solow (1992): An Almost Practical Approach to Sustainability. S. 255.

Diese Annahme wird Herman Daly grundsätzlich kritisieren, und ich werde gleich darauf zu sprechen kommen. Vorher möchte ich Solows Begriff der Nachhaltigkeit selbst mit drei kritischen Bemerkungen reflektieren:

Erstens führt Solow an, dass das Gesamtkapital der Menschheit hinreichend genau durch ökonometrische Messung quantifizierbar sei. Aber wie möchte man den Wert der Natur quantifizieren? Wie wertvoll müßte eine industrielle Nutzung des Naturschutzgebietes Wattenmeer sein, damit wir bereit sind, das Naturschutzgebiet für diese Industrie zu opfern? Und wieviel Kapital verbraucht es, einen Liter Benzin zu verfahren? Wie sollte man das angesichts der enormen Komplexität der menschlichen Wirtschaft auf der einen Seite und der des Ökosystems auf der anderen Seite hinreichend genau schätzen können? Oder: Wer würde bei dieser Wette um das Überleben zukünftiger Generationen sein eigenes Leben darauf verwetten, ±30 Prozent genau geschätzt zu haben, wieviel Kapital das Verbrennen von einem Liter Benzin kostet?

Zweitens stehen wir schon ungeachtet der Frage, ob eine Messung des Gesamtkapitals hinreichend genau gelingen kann, einem strukturellen Unwissen gegenüber. Die Geschichte der Umweltprobleme hat gezeigt, dass wir nicht wissen, was dieses Gesamtkapital tatsächlich ist: FCKW galt lange Zeit als völlig unbedenklich, und die Ozonschicht wäre in Solows Rechnung gar nicht als verbrauchtes natürliches Kapital erschienen. Für Öl, Kohle und Gas galt lange Zeit, dass diese irgendwann aufgebraucht sein werden; aber niemand hat damit gerechnet, das entscheidende natürliche Kapital sei die Aufnahmekapazität der Atmosphäre für Kohlendioxid. Wie sollen wir dieses Gesamtkapital quantifizieren, wenn wir uns schon so sehr darin geirrt haben, was dieses Kapital ist?

Drittens läßt Solows Begriff der Nachhaltigkeit unendliches Wachstum prinzipiell zu. Der Begriff unendlichen Wachstums ist eng verbunden mit der Idee unendlicher Bedürfnisse des Menschen und mit der des Immer-Mehr-Haben-Wollens. Gibt man zu, dass die Umweltprobleme, denen wir mit einer nachhaltigen Entwicklung entgegenwirken möchten, auch mit dem Immer-Mehr-Haben-Wollen zu tun haben, dann muß Solows Begriff von Nachhaltigkeit, der weder die menschliche Gier noch andere Grenzen des Wachstums thematisiert, zumindest unvollständig sein.

Herman Daly: Strong Sustainability

Herman Daly stellt dem Konzept der schwachen das der starken Nachhaltigkeit entgegen. Der wesentliche Unterschied zu Solows Konzeption ist, natürliches Kapital und menschen-gemachtes Kapital nicht als Substitute, sondern als Komplemente aufzufassen.

Man-made capital cannot substitute for natural capital. Once, fish catches were limited by the number of fishing boats (man-made capital) at sea. Few fishing boats were exploiting large populations of fish. Today the limit is the number of fish in the ocean – many fishing boats are competing to catch the few remaining fish. Building more boats will not increase catches. To ensure long-term economic health, nations must sustain the levels of natural capital (such as fish), not just total wealth.

Daly (2005): Economics in a full world. S. 16.

Der Gedanke, den Daly hier in der ihm eigenen, sehr direkten und anschaulichen Art ausdrückt, ist folgender: Das Problem der Nachhaltigkeit ist, dass die Belastungsgrenzen des Ökosystems durch das Ausmaß der menschlichen Wirtschaft erreicht sind. Daher greift zu kurz, Nachhaltigkeit auf den Lebensstandard und die Substitution nicht-erneuerbarer natürlicher Ressourcen durch erneuerbare menschen-gemachte Ressourcen zu beziehen. Wirtschaft passiert innerhalb des Ökosystems Erde und die menschliche Wirtschaft ist auf den Erhalt dieses Ökosystems angewiesen: Die natürliche Ressource Ökosystem ist das notwendige Komplement unserer ganzen Wirtschaft. Es geht nicht ohne die Natur; und daher muß sich Nachhaltigkeit nicht auf den Ersatz, sondern auf den Schutz der Natur richten.

Diese umfassende Sichtweise auf unser Wirtschaften im Ökosystem führt direkt zu Grenzen des Wachstums. Diese bestimmt Daly in Begriffen der Thermodynamik wie es in der Ökologischen Ökonomik üblich ist: Demnach bedeutet unser Wirtschaften, dass Rohstoffe geringer Entropie zu Abfällen hoher Entropie werden. Um Leben und Wirtschaften auf der Erde langfristig aufrecht erhalten zu können, müssen die Abfälle wieder zu Rohstoffen werden. Dafür braucht es Energie, und diese kommt nur mit konstanter Rate von der Sonne in die Biosphäre. Daher setzt dieser Energieeintrag dem Verbrauch physikalisch unverrückbare Grenzen, so dass die Wirtschaft in einer endlich großen Welt nicht unendlich wachsen kann. Oder in den Worten von Herman Daly:

But the facts are plain and uncontestable: the biosphere is finite, nongrowing, closed (except for the constant input of solar energy), and constrained by the laws of thermodynamics. Any subsystem, such as the economy, must at some point cease growing and adapt itself to a dynamic equilibrium, something like a steady state. Birth rates must equal death rates, and production rates of commodities must equal depreciation rates.

Daly (2005): Economics in a full world. S. 13.

Dieser physikalischen Grenze des Wachstums fügt Herman Daly eine mikroökonomisch begründete Grenze hinzu, die unser Wohlbefinden in den Blick nimmt. Der Gedanke ist, dass jedes Mehr an Produktion und Konsum mit zwei Effekten einhergeht. Auf der einen Seite steigert jedes Mehr an Konsum unser Wohlbefinden. Auf der anderen Seite ist jedes Mehr an Konsum auch mit mehr Produktion, Arbeit und Aufwand verbunden, und entsprechend wird unserem Wohlbefinden etwas abgezogen. Dazu kommt, dass mit jedem Mehr an Konsum das Wohlbefinden zwar steigt, aber immer weniger steigt; während mit jedem Mehr die Aufwendungen dem Wohlbefinden immer mehr abziehen. Daraus folgt, dass es einen Punkt geben muß, ab dem jedes Mehr an Konsum (und Produktion) dem Wohlbefinden mehr abzieht als hinzufügt. Ab diesem Punkt spricht Herman Daly von unökonomischem Wachstum.

Diese Kritik am grenzenlosen Wachstum ordnet Herman Daly in die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften ein. An der Ökonomie habe es drei große Kritiken gegeben: Thomas Malthus kritisierte, dass sie vom Bevölkerungswachstum abstrahiere, Karl Marx, dass sie von Klassenkämpfen und Ungleichheit abstrahiere und John Maynard Keynes, dass sie von Unsicherheit und der Unmöglichkeit der Vollbeschäftigung abstrahiere. Mit diesen Kritiken, so Daly, hätten sich die Ökonomen über mehrere Generationen intensiv auseinandergesetzt, jedoch sei ihre Antwort auf alle drei Probleme immer gleich gewesen: Wachstum sei die Lösung. Die Kritik der Ökologischen Ökonomik lautet, dass die klassische Ökonomik von sozialen und ökologischen Grenzen des Wachstums abstrahiere, und Wachstum daher nicht die Antwort auf alle Probleme sein könne. (Daly 1996: 25f.)

Damit liegt auf der Hand, was nach Herman Daly und im Sinne der Ökologischen Ökonomik unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist. Daly definiert Nachhaltigkeit mit Blick auf den thermodynamischen Durchsatz. Demnach ist Wirtschaft nachhaltig, wenn sie nicht mehr Rohstoffe verbraucht als im Ökosystem nachwachsen, und nicht mehr Abfälle produziert als das Ökosystem absorbieren kann:

Sustainability can be defined in terms of throughput by determining the environment's capacity for supplying each raw resource and for absorbing the end waste products.

Daly (2005): Economics in a full world. S. 15.

Aus dieser Definition folgen drei Handlungsgrundsätze: 1. Wir dürfen nicht mehr Abfall produzieren als das Ökosystem absorbieren kann. 2. Wir dürfen erneuerbare Ressourcen nur in dem Maß nutzen, in dem sie nachwachsen. 3. Wir dürfen, wie auch Robert Solow fordert, nicht-erneuerbare Ressourcen nur in dem Maß nutzen, in dem wir erneuerbare Substitute schaffen. – Wenn wir diese drei Punkte beachten, wirtschaften wir nachhaltig.

Die Konzepte der schwachen und starken Nachhaltigkeit unterscheiden sich in vier wesentlichen Punkten: 1. Die schwache Nachhaltigkeit betrachtet nur das System Wirtschaft, die starke hingegen schaut auf das gesamte Ökosystem und faßt unsere Wirtschaft als Subsystem auf. 2. Grenzen des Wachstums spielen im Begriff der schwachen Nachhaltigkeit keine Rolle, während die starke Nachhaltigkeit die Grenzen des Wachstums in einem endlichen Ökosystem thematisiert. 3. Natürliches und menschen-gemachtes Kapital müssen im Sinne des minimalen Optimismus bei der schwachen Nachhaltigkeit als Substitute angesehen werden. Die starke Nachhaltigkeit faßt Natur und Technik als Komplemente auf. 4. Nachhaltig zu erhalten ist bei der schwachen Nachhaltigkeit der Lebensstandard, während die starke Nachhaltigkeit den Erhalt der Natur und des Ökosystems als Lebensgrundlage der Menschheit fordert.

John Stuart Mill: The Stationary State

Ist die Rede von Grenzen des Wachstums, von weniger Konsum oder von einer Postwachstumsökonomie (wie im Vortrag von Prof. Paech), dann reagieren die Menschen in der Regel skeptisch. Sie fragen sich, was das für sie selbst bedeuten könnte, und befürchten ein ärmliches Leben, das wenig Freude bietet. Diese Befürchtungen möchte ich abschließend mit einem erbaulichen Gedanken von John Stuart Mill beantworten.

Vorweg eine Bemerkung zur historischen Einordnung dieses Gedankens: Grenzen des Wachstums sind in der Geschichte der Ökonomie keinesfalls ein moderner Gedanke, sondern finden sich auch in den ökonomischen Klassikern von Adam Smith (Wealth of Nations von 1776) und Thomas Malthus (The Principle of Population von 1798). Adam Smith ging davon aus, dass Wachstum ein Ende haben muß, weil irgendwann alle Netto-Investitionen getätigt sind und das Gesamtkapital einer Gesellschaft nicht weiter wachsen kann. Aber der Mehrheit der Menschen geht es nur solange gut, wie das Gesamtkapital wächst und steter Mangel an Arbeitskräften herrscht. Thomas Robert Malthus meinte, dass die Bevölkerung grundsätzlich mehr wächst als die Produktion von Nahrungsmitteln wachsen kann, so dass zyklische Hungerkrisen das Schicksal der Menschheit sind. Diesen pessimistischen Vorstellungen stellt John Stuart Mill in den Principles of Political Economics von 1848 ein optimistisches Bild von einer Wirtschaft im stationary state gegenüber. Der stationary state bedeutet:

a well-paid and affluent body of laborers; no enormous fortunes, except what were earned and accumulated during a single lifetime; but a much larger body of persons than at present, not only exempt from the coarser toils, but with sufficient leisure, both physical and mental, from mechanical details, to cultivate freely the graces of life, and afford examples of them to the classes less favorably circumstanced for their growth. This condition of society, so greatly preferable to the present, is not only perfectly compatible with the stationary state, but, it would seem, more naturally allied with that state than with any other. […]

If the earth must lose that great portion of its pleasantness which it owes to things that the unlimited increase of wealth and population would extirpate from it, for the mere purpose of enabling it to support a larger, but not a better or a happier population, I sincerely hope, for the sake of posterity, that they will be content to be stationary, long before necessity compels them to it.

It is scarcely necessary to remark that a stationary condition of capital and population implies no stationary state of human improvement.

Mill (1848): Principles of Political Economy.
Book IV, Chap. VI. § 2.

Literatur

Carlowitz, Hannß Carl von (1713): Sylvicultura oeconomica –Anweisung zur wilden Baumzucht. Leipzig. Online bei Archive.org.

Daly, Herman (1996): The challange of ecological economics: historical context and some specific issues. In: Elgar, Edward (Hrsg.): Ecological economics and sustainable development. Selected essays of Herman Daly. Cheltenham, Northampton. 2007. Seiten 25-31. Online bei Archive.org.

Daly, Herman (2005): Economics in a full world. In: Elgar, Edward (Hrsg.): Ecological economics and sustainable development. Selected essays of Herman Daly. Cheltenham, Northampton. 2007. Seiten 12-24. Online bei Archive.org.

Eurostat: Sustainable Development Goals Visualization. Eurostat-Webseite, zuletzt aufgerufen am 29.03.2023.

Farman, J. C.; Gardiner B. G.; Shanklin, J. D. (1985): Large losses of total ozone in Antarctica reveal seasonal ClOx/NOx interaction. In: Nature. Vol. 315. 16. May. 1985. Seiten 207 - 210.

Jonas, Hans (1979): Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt am Main. Online bei Archive.org.

Malthus, Thomas (1798): An Essay on the Principle of Population. An Essay on the Principle of Population, as it Affects the Future Improvement of Society with Remarks on the Speculations of Mr. Godwin, M. Condorcet, and Other Writers. Electronic Scholarly Publishing Project 1998.

Mill, John Stuart (1848): Principles of Political Economy. Volume 2. London, New York 1900. Online bei Archive.org.

Parfit, Derek Antony (1984): Reasons and Persons. Oxford. Online bei Archive.org.

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Bernd Neumann,

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